Raum der Stille im Thüringer Landtag Erfurt

Gedanken zum gestalterischen Prozess von der Aufgabenstellung des Wettbewerbs bis zur endgültigen Realisierung

Die besondere Herausforderung dieser Aufgabe lag vor allem darin begründet, dass ein bereits bestehender Raum in seiner funktionalen Ausrichtung innerhalb der Gesamtarchitektur vorgegeben war. Mit einer breiten einseitig angeschlossenen Fensterfront und zwei davor stehenden Säulen war der Raum optisch und physisch spürbar in einem Ungleichgewicht. Bevor ich mich also mit einer künstlerische Idee überhaupt beschäftigen konnte, mußte ich mich mit den räumlichen Bedingungen auseinander setzen, mit diesen Vorgaben versuchen eine Ordnung bzw. eine raumgreifende Richtung zu schaffen.

Die Fensterfront mit entsprechend gestaltetem Material zu verkleiden war zwingend nötig, um einerseits das Tageslicht zu brechen und andererseits die große Fensterfront mehr alsWandfläche erscheinen zu lassen, die den Blick nach außen verwehrt, aber durch entsprechende Gestaltung eine vielzahl von Lichtstimmungen entfalten kann. Damit war zwar gedanklich der Raum geschlossen, doch eine entsprechende Ausrichtung fehlte noch immer, bis mir die Idee kam, eine dritte Säule zu installieren. Statisch ohne Bedeutung, aber in Korrespondenz mit einer der beiden vorhandenen Säulen ergab sich schließlich die Richtung, auf die sich optisch und physisch alles hinbewegt. Das Zentrum, so wie man es bewußt oder unbewußt in allen spirituellen bzw. sakralen Räumen wahrnehmen kann, war damit für mich in jenem Moment gegeben. Mit dieser dritten Säule entwickelte sich gleichzeitig ein imaginäres Dreieck mit tiefer Symbolkraft, welches sich dann als farbige Trennung auf dem Fußboden mehr oder weniger ablesen läßt. Innerhalb dieser Dreieckfläche stehen zwischen den drei Säulen die liturgischen Objekte wie Altar (Tisch), Ambo (Lesepult) sowie das Andachtsbild (Meditationstafel) mit dem Kreuz. In diesem Bereich findet also das Besondere statt, sei es als einzelner im Dialog mit den auf ihn wirkenden Eindrücken (Meditation) oder als eine in der Gemeinschaft erlebte Andacht. Um es nochmals zu betonen: Mir persönlich kam das "zufällige" Vorhandensein der beiden Säulen bei der Gestaltfindung des Raumes sehr entgegen, da sich Assoziationen zur Baukunst im Allgemeinen und deren Symbolik im Besonderen ergeben. In der Verbindung mit jener metaphysischen Bedeutung der Zahl Drei als Inbegriff höchster Vollkommenheit hat dieser Raum für mich formal und inhaltlich seine ganz eigene Prägung erhalten.

Raum der Stille

"Der Sonnengesang" des Franz von Assisi ist Ausgangspunkt der Gestaltung des Meditationsbildes in Form einer Stele aus vier hintereinander gestaffelten Acrylglasflächen mit Zwischenraumzonen. Die farbige sowie grafische Bearbeitung der Flächen auf den Vorder- und Rückseiten ergeben im Ganzen einen tiefen Raum mit den verschiedensten Ein-,Durch- und Rückblicken; mikro- und makrokosmische Erscheinungsformen stehen im Kontext zum Inhalt der Aussage. Formal und inhaltlich galt es dann auch den Bogen zu spannen vom Zentrum der Meditationstafel hin zur "Verkleidung der Fenster" im gleichen Material und einer grafischen Bearbeitung, die ebenfalls die kosmischen Kräfte bildhaft umschreibt. Wer sich auf diese immer in Veränderung wandelnden Lichtlinien einläßt, dem kann es schon passieren, daß er einen Engel schaut.

Die Gestaltung der Bestuhlung gehörte ebenfalls zur Wettbewerbsaufgabe. Um einen in sich großzügigen, gleichzeitig aber auch einen auf sparsame Noblesse ausgerichteten Raumeindruck zu erreichen setzte ich auf proportional der Raumgröße gefertigt offene kubische Hocker aus massiver heller Buche. Im gleichen Material und der Form entsprechend wurde der Tisch sowie das Lesepult angefertigt. Mit dem transparenten Kreuz vor dem Retabel findet die inhaltliche und formale Umsetzung einer Idee Ihren Abschluss.

Gert Weber


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